Der Stadtkirchenturm als Wohn – und Arbeitsplatz

(Vortrag im MIK am 21.3.2018 von Christian Rehmenklau)

Im Jahre 1718 wurde der Grundstein für die Stadtkirche gelegt, und schon 1726 fand die Einweihung der Kirche statt. Die Räume im Südturm der Kirche befinden sich in 27 m Höhe über dem Marktplatz. Hier oben war die Wohnung des Hochwächters und der Arbeitsplatz des Zinkenisten, also des Turmbläsers.

Der Aufstieg beginnt
2. Stock
Das alte Uhrwerk

In einer Veröffentlichung von 1962 beschreibt Oscar Paret diesen Ort: „Auf beiden Türmen waren im sechsten, schon achteckigen Geschoss, unter dem Turmhelm, kleine wohnliche Räume, die im Südturm als Wohnung des Turmwächters dienten, und zwar bis zum Jahr 1925. Noch sieht man die Stelle des kleinen Herdes und den Rauchabzug.“

Das alte Ofenrohr
Hier stand der alte Ofen

In der Ludwigsburger Zeitung vom 18. August 1847 heißt es: „Soviel dem Einsender bekannt ist, besteht gegen das Wäschetrocknen an öffentlichen Plätzen eine polizeiliche Verordnung. Wenn nun aber der den einen unserer Kirchtürme bewohnende Hochwächter sich herausnimmt, das Geländer des Turmes hierzu zu benutzen, so macht dies wahrlich einen schlechten Prospekt für die Stadt und ihre Umgebung, und verdient wohl eine öffentliche Rüge.“

Bei Albert Sting, dem Chronisten der Stadtgeschichte Ludwigsburgs, findet man einen Hinweis auf die letzte Hochwächterin: „Karoline Brunner wurde am 27. November 1869 in Ludwigsburg als Tochter des Hochwächters Brunner geboren. Nach dem Tod ihres Vaters im August 1919 übernahm sie den Hochwächterdienst auf dem südlichen Stadtkirchturm und wurde von der Stadt angestellt. Ihr wurde freie Wohnung, Heizung, Beleuchtung und eine monatliche Geldzuwendungen von 25 M gewährt. Sie hat den Dienst bis 1925 getan. Die Wächterin wurde im Volksmund „Turm Karlene“ genannt. Am 6. Januar 1941 ist Karoline Brunner gestorben.“

Karoline Brunner

Zur Tätigkeit und den Aufgaben des Hochwächters finden sich einige wenige Hinweise in den Protokollen des Gemeinderates.

Im Februar 1902 beschließt der Gemeinderat, dass der Küster oder Wächter, der „Nachmitternachtdienst“ hat, sich erst um 8:00 Uhr auf dem Turm einzufinden habe.“ Wenn der andere Wächter da ist, hat der andere Bereitschaft“. 1905 wird eine Gehaltserhöhung für den Hochwächter Brunner von 800 auf 850 DM gewährt. Fünf Jahre später beantragt  Brunner, wegen seines hohen Alters, er ist jetzt 74 Jahre alt, des Dienstes enthoben zu werden.

Am 30. Juni 1910 hält das Protokoll des Gemeinderates fest: „Da keine Entscheidung über die Wiederbesetzung getroffen wurde, aber laut Beschluss vom 13.4.1910 der Brunner vom 1. Juli 1910 im Ruhestand ist, wird der Beschluss aufgehoben und Brunner wieder angestellt.“

Mit dem Fortschreiten der Technik werden die Aufgaben der Hochwächter mehr und mehr überflüssig. Im Juli 1910 wird im Turm ein Feueralarmwerk im Wert von 800 M eingebaut. Dadurch fällt die Stelle des Assistentenwächters weg. Brunner erhält aber weiterhin freie Wohnung, Heizung und Beleuchtung.

„Auch dass das so genannte Schulglöcklein auch künftig geläutet werden soll“ wird als wichtig festgehalten. 1917 verweist der Gemeinderat Hopf in einem Zeitungsbeitrag auf den Nutzen des Hochwächters, da dieser „Dank der  vorhandenen telefonischen Verbindungen nächtliche Brandstellen melden könne.“

Die alte Gasleitung

Nach dem Tode von Karl Brunner wird in den Akten der Stadtpolizei vom 18.2.1920 vermerkt: „Die Tochter des ehemaligen Hochwächters versieht jetzt den Dienst. Auf Anzeige in der LKZ gibt es keine Bewerbungen. Der Dienst sei nicht von höherer Bedeutung, aber für Notfälle noch gut. Karoline Brunner habe nur kleines Vermögen, sie flechtet und näht, aus sozialen Gründen soll Wohnung, Heizung und Licht frei sein. Sie erhält ferner  25 M pro Monat.“ Im gleichen Jahr ergeht folgender Antrag: „Eine besondere Aufgabe der Brunner ist das Läuten des Schulglöckchens, was von der Einwohnerschaft nicht gerne vermisst würde. Es ergeht daher der Beschluss, ihre monatliche Belohnung von 25 auf 40 M zu erhöhen.“

Am 31. Juli 1923 bekommt die Stadtverwaltung einen Brief des Dekans Gauger, wegen der Wohnung im Stadtkirchenturm.

Zunächst legt der Dekan dar, dass anlässlich einer Besprechung mit der Gebäudebrandversicherung die Frage geprüft wurde, wie man Feuergefahr für die Kirche ausschließen können. „Dabei ist wiederholt zum Ausdruck gebracht worden, es sei nicht unbedenklich, dass der Turm der Kirche noch von der Tochter des letzten Turmwächters Brunner bewohnt werde. Die Genannte ist schwerhörig und sie bekommt (namentlich in Ferienzeiten) Besuch von Kindern der Stadt, die Kinder haben ihr manchmal Arbeit im Auftrag ihrer Eltern zu bringen, in nicht seltenen Fällen kommen sie aber auch ohne geschäftliche Veranlassung auf den Turm. Es war schon mehrmals Anlass dazu vorhanden, dass geklagt werden musste über ganz unnötigen Besuch der Kinder am Turm, auch Unfug ist dabei schon wiederholt vorgekommen.“

Dann verweist der Brief auf die Verantwortlichkeit des Gemeinderates und die Überflüssigkeit einer Turmwächterin und bittet, dass die Wohnung auf dem Turm gekündigt wird und nicht mehr besetzt wird.

Die Stadtverwaltung stimmt diesem Antrag zu. Am 27. Juni 1926 schreibt der Baumeister Hauser wegen der Erneuerung der Stadtkirche: „Es zeigte sich, dass der Kaminaufsatz der früheren Turmwächterwohnung so baufällig war, dass derselbe abgebrochen werden musste. Nachdem die Wohnung nicht mehr benutzt wird, wird von einer Renovierung abgeraten. Falls eine Wärmequelle später erforderlich sei, sei eine Gasleitung vorhanden.“

Blick in die zwei Stuben

Mit 56 Jahren zieht Karoline Brunner aus der Wohnung im Stadtkirchenturm aus. Sie beschließt ihren Lebensabend in einem städtischen Versorgungsheim, wo sie im Alter von 72 Jahren stirbt.

Abstieg und Bodenklappe

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Eine andere Gruppe, für die der Südturm der Stadtkirche eine besondere Bedeutung hat, sind die Zinkenisten. Laut Oscar Paret besteht das Amt des Stadtzinkenisten seit 1720. Der erste war der Hofmusikus Kastenbauer. Am 3. 1. 1752 tritt die Stadt Ludwigsburg zwei Äcker „zum Genuss der Stadtzinkenisten ab“. Das eine Grundstück befindet sich am Zuckerberg und ist 46 A, das andere im Rotbäumlesfeld ist  26 A groß. Erst 1954 fallen die Stiftungsäcker im Tausch wieder an die Stadt zurück.

Aus dem Jahre 1749 ist ein Protokoll erhalten, das den ersten Startzinkenisten Ensten betrifft. Es geht dabei um die Bezahlung, wenn die Stelle vom Magistrat aus vergeben wird, und was der Zinkenist zur Besoldung bekommen könne, „wann man des Zinkenisten Amt würkl. allhier besetzen würde. Wenn die Hochwacht combiniert würde, so könnte hiehero gezogen werden: a. des Hochwächters Besoldung = 30 Gulden, b. Lampenwächters = 16 Gulden c. Holz und Lichter = 45 Gulden“

Im weiteren Verlauf des Protokolls geht es darum, wer noch zur Bezahlung für dieses Amt beitragen könnte, ob zum Beispiel der Hof oder der Kirchenrat bei der Finanzierung beteiligt werden kann.

Dok.1

Aus dem Jahre 1862 ist eine Instruktion für den Stadtzinkenisten erhalten. Sie umfasst zehn Paragraphen. In Paragraph eins ist festgelegt, dass der Stadt- Zinkenist sich eines  „untadel haften Lebenswandel zu fleißigen“ habe. Außerdem hat er selbst das Musikpersonal zu stellen, um den Gesang in der Kirche mit Posaunen vierstimmig begleiten zu können. Er muss ferner bei außerordentlichen kirchlichen Feierlichkeiten und bei den Morgen- und Abendpredigten den Gesang der Gemeinde begleiten. Außerdem muss er jeden Tag mittags und abends vom Kirchturm herab einen Choral blasen. Außerdem hat er die „hiesigen jungen Leute in der Instrumentalmusik zu unterrichten“. Als Besoldung bezieht er jährlich: „vom Staat 350 Gulden, von der Stiftspflege 100 Gulden, der Genuss von zwei Morgen Acker wird mit 2 × 25 Gulden veranschlagt“. Außerdem erhält er für Beziehen der Instrumente mit Saiten und Anschaffung von Kästen zum Erwärmen der Instrumente ein jährliches Aversum von 15 Gulden.“

Dok.2

Ab 1891 ist der Stadtzinkenist dem Kirchengemeinderat unterstellt. Oscar Paret vermerkt: „Seit 1928 ist es Stadtmusikus Paul Noa, der mit drei Bläsern täglich zur Mittagsstunde vom Südturm aus nach West, Süd und Ost einen Choral erklingen lässt.“

Auch heute noch sind die Stadtzinkenisten zu hören. Sie spielen am Sonntagmorgen und am Samstag um 12:00 Uhr zum Wochenmarkt auf dem Südturm, noch immer viermal in jede Himmelsrichtung.

Sie spielen bei jedem Wetter

Christian Friedrich  Daniel Schubart, der zu seiner Zeit Organist an der Stadtkirche war, war mit dem damaligen Zinkenisten befreundet. Dessen Ehefrau warnte ihren Gatten vor dem Umgang mit Schubart, weil sie fürchtete, ihr Mann könnte dadurch in die Hölle kommen. Schubart schrieb daraufhin dieses Gedicht:

Zinkenistentrost

Wie glücklich ist der Zinkenist,
Der Herr und sein Geselle!
Er könnte, wenn er gestorben ist,
Gewiss nicht in die Hölle:
Denn Gott hält oft ein Freudenfest
Mit auserwählten Christen;
Und weil man da Posaunen bläst,
So braucht man Zinkenisten.